Bildungswende JETZT! | Schulanfang | Rückschau
Liebe Erst- und Fünftklässler,
liebe Eltern und liebe Mitfiebernde,
erst mal ein ganz herzliches Willkommen im neuen Schuljahr, an der neuen Schule und in der neuen Klasse. Das ist, wie ich nur zu gut weiß, eine aufregende Zeit für alle „Neuen“ – und ich hoffe, dass der Schulstart sich nicht nur als große Sache entpuppt, sondern auch ein Anlass zur Freude sein möge. Immerhin liegen ziemlich aufwühlende Wochen und Monate hinter uns. Das teils leider vergebliche, teils doch noch mit einer überraschenden Wendung endende Bemühen um einen Schulplatz, der den Vorstellungen der Kinder und Eltern entspricht, hat mich in diesem Jahr auch wochenlang beschäftigt.
Ich habe mitgefiebert. Habe viele von Euch aufgelöst am Telefon erleben müssen. Habe per E-Mail versucht zu beraten oder auch nur zu trösten. Wie haben mehrfach zusammen protestiert. Ich habe Dutzende Gespräche mit Journalistinnen und den politisch Verantwortlichen geführt. Mit Schulleiterinnen und Elternvertretern überlegt, was zu tun ist. Habe mich mit anderen Initiativen ausgetauscht, die Probleme an den Schulen dieser Stadt lösen wollen. Habe mich – leider oft vergeblich – um das Ohr der Verwaltung bemüht. Und kopfschüttelnd unserer Oberbürgermeisterin beim Schweigen zusehen müssen.
Unterm Strich haben auf den allerletzten Metern dann doch irgendwie alle Kinder noch irgendwo einen Platz bekommen. Das ist die einzig gute Nachricht am Ende eines quälenden, frustrierenden und schwer erträglichen Prozesses, den die Stadt ein Verteilverfahren nennt. Der sich für die betroffenen Kinder und Eltern aber als Wahnsinn entpuppt, als organisierte Verantwortungslosigkeit, gepaart mit handwerklichem Dilettantismus. Auch diese Gedanken werden zum Schulstart leider bei vielen wieder präsent sein.
Ach so: Lasst Euch den heutigen Tag nicht davon verderben. Feiert die Kinder bei ihrem so wichtigen Schritt auf dem langen Bildungsweg.
In diesem Newsletter werde ich trotzdem noch einmal zurückblicken – schon, damit noch einmal klar dokumentiert ist, was Jahr für Jahr schiefläuft. Und was dieses Versagen der Stadt für Folgen hat.
Unser neues Bündnis: Bildungswende JETZT!
Zunächst aber ein Blick nach vorn: „Die Abgelehnten“, viele von Euch und auch ich, haben im Frühjahr oft darüber nachgedacht, wie sich ein großer Protest gegen das organisieren ließe, was in der Bildungspolitik schiefläuft. Bloß ist es für eine so kleine Initiative ohne große Organisation im Rücken schwer möglich, eine große Bewegung zu organisieren. Umso mehr hab ich mich darüber gefreut, als mich im Mai die Berliner Kampagne „Schule muss anders“ ansprach. Die kämpfen in der Hauptstadt für gerechtere Bildung – denn da sieht es nicht wirklich besser aus als hier in Köln. Die Probleme mit dem Lehrermangel mögen etwas größer, die mit dem Schulplatzmangel etwas kleiner sein – aber das sind Nuancen. Uns eint die grundsätzliche Einsicht: Wir brauchen eine bessere Bildungspolitik. Kommunal, auf Länderebene und bundesweit.
Aus Berlin kam daher der Impuls für eine deutschlandweite Bewegung, der ich mit den Abgelehnten direkt aus vollem Herzen angeschlossen hab. Daraus entstanden ist der bundesweite Appell „Bildungswende JETZT!“, den mittlerweile über 130 Bildungsorganisationen, Gewerkschaften und Eltern- und Schüler*innenvertretungen unterzeichnet haben. Der Befund: Wir stecken in der schwersten Bildungkrise seit Gründung der Republik. Es fehlen Personal, Geld und vernünftige Konzepte. Und unser veraltetes und unterfinanziertes Bildungssystem ist sozial ungerecht. Deshalb kämpft nun ein bundesweites Protestbündnis für ein gerechtes, inklusives und zukunftsfähiges Bildungssystem. Die genauen Forderungen könnt ihr euch auf der Webseite durchlesen. Tagesschau, Deutschlandfunk Kultur, ZEIT und viele andere Medien haben auch schon drüber berichtet.
Und eine Online-Petition gibt es auch – mit fast 50.000 Unterschriften bis jetzt.
Ich kann all dem, was dort gefordert wird, aus kommunaler Perspektive nur beipflichten. Denn ich habe in den vergangenen Jahren die Verlierer kennengelernt, die das systematische Versagen produziert. Zugleich weiß ich aus der politischen Basisarbeit, dass es immer wieder auch um Themen in der Verantwortung des Bundeslandes und der Bezirksregierung geht. Auch deshalb ist landesweiter Protest essenziell.
Deshalb helfe ich gerade mit bei der Organisation der zentralen Demo und Kundgebung für NRW, die am 23.9. hier in Köln stattfinden wird. Wir werden ab 13 Uhr von Heumarkt aus durch die Innenstadt ziehen. Um 15 Uhr versammeln wir uns erneut auf dem Heumarkt zu einer Kundgebung. Dort kommen Betroffene zu Wort – und wir wollen auch zeigen, wie man es besser machen kann. Wir, das sind engagierte Elternvertreter, Lehrerinnen und Schüler, die Gewerkschaften GEW und Verdi, Organisationen, die für Inklusion eintreten und Betroffene der Bildungskrise von Kita bis Studium. Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist dabei, die Teachers for Future machen mit, der Elternverein mittendrin organisiert mit, die Landesschüler*innenvertretung und die Landeselternbeiträte, Studierende auf Lehramt und auch das Protestteam aus dem Kölner Norden, das im Mai so eine tolle Demo mit 2000 Leuten gegen die ganzen maroden Bauten organisiert hatte, hilft mit.
Die Abgelehnten sind hier also in bester Gesellschaft – und wie haben die große Chance, nicht nur einmal gemeinsam ein Zeichen zu setzen für die Bildungswende, sondern nach dem Protesttag auch weiter im Bündnis zusammenzuarbeiten.
Euch möchte ich an der Stelle daher gleich um dreifache Unterstützung bitten.
- Erstens hoffe ich, dass möglichst alle mit auf die Straße gehen.
- Zweitens seid ihr herzlich eingeladen, Euch aktiv einzubringen. Meldet Euch gern bei mir, wenn Ihr bei der Orga mithelfen wollt.
- Drittens brauchen wir für die Demo und die Kundgebung auch Geld. Denn wenngleich sich alle, die den Tag organisieren, unbezahlt und ehrenamtlich engagieren, gibt es Demowagen, Transparente, Plakate, Bühne, Lautsprecher und Strom nun mal nicht umsonst. Wir gehen aktuell von um die 8500 Euro fixen Kosten aus. Wer mehr darüber wissen will oder eine weitere Idee zur Finanzierung hat, kann mich sehr gern kontaktieren. Ich habe ad hoc eine kleine Spendenkampagne aufgesetzt. Dort freue mich über jeden Zehner (und natürlich auch über mehr), der reinkommt. Das geht ganz schnell und unkompliziert per Internet über diesen Link hier. Danke auch dafür!
Unvermeidlich:
Die Rückschau auf die 2023er "Verfahren"
Jetzt noch zur versprochenen Rückschau. Ich fasse mich da einigermaßen kurz, weil wir daran ja nun eh nichts mehr ändern können: Nachdem die Stadt das von ihr so genannte Verfahren zur Platzvergabe an den weiterführenden Schulen Ende März für abgeschlossen erklärt hatte, sparte sie nicht mit Eigenlob:
Insgesamt ist das diesjährige Anmeldeverfahren sehr strukturiert und zeitlich gestrafft verlaufen. Der Abschluss konnte, wie vorgesehen, vor den Osterferien erfolgen. Somit erhalten alle Erziehungsberechtigten und Schüler*innen so früh wie möglich Klarheit über ihre zukünftige Schule.
Wer sich erinnert, wie die ersten Wochen dieses Jahres für viele Familien verlaufen sind, für den ist ein solches Fazit nur schwer zu ertragen. Die Auffassung, dass die Platzvergabe in diesem Jahr „sehr strukturiert“ verlaufen ist, hat die Stadt jedenfalls exklusiv.
Kathy Stolzenbach vom Kölner Stadt-Anzeiger fand in ihrer Analyse weitaus treffendere Worte:
Es ist kommunale Pflicht der Stadt, jedem Kind einen Schulplatz anzubieten. In diesem Jahr ist das – wieder einmal – nur deshalb gelungen, weil die Klassengrößen an Gymnasien erhöht wurden, sodass bis zu 31 Kinder in einen Klassenraum gequetscht werden. Und weil viele Kinder ins Umland oder auf Privatschulen ausweichen. Das ist ein Armutszeugnis.
Im Deutschlandfunk hatte ich auch selbst noch mal die Gelegenheit, das Chaos bei der Mangelverwaltung ausführlich zu beschreiben – und die möglichen Konsequenzen: dass nämlich Familien diese dysfunktionale Stadt verlassen.
Gemeinsames Lernen am Gymnasium?
Angebote ohne Nachfrage
Ich muss wohl kaum erwähnen, dass auch nach Ostern noch immer „Bewegung“ in der Schulplatzsache war. Teils wochenlang bekamen Eltern noch Nachrückplätze angeboten – bis schließlich vor nicht mal zwei Wochen das Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG) in Neuehrenfeld noch 13 Plätze nachzubesetzen hatte. Was war passiert? Die Schule hatte sich als sogenannte inklusive Schule des Gemeinsamen Lernens positioniert – offensichtlich wurden aber nicht alle dafür vorgesehenen Plätze besetzt. Nun nehmen GL-Schulen aber nur bis zu 27 Kinder pro Klasse auf, während andere Gymnasien in Köln wegen des Platzmangels 30, dreizügige Schulen sogar 31 Kinder pro Klasse beschulen müssen. Wegen der fehlenden Nachfrage nach GL-Plätzen musste das AMG schließlich nach Einsprüchen von Eltern abgelehnter Kinder die Klassen kurz vor Ende der Sommerferien „auffüllen“.
Beim Elisabeth-von-Thüringen-Gymnasium (EvT) war es zuvor schon zu einer ähnlichen Entwicklung gekommen. Da es auch hier zu wenige Anmeldungen für die GL-Plätze gab, wurden die Klassen zwischenzeitlich von 27 auf 31 Kinder aufgestockt, so dass auch hier auf einmal rund ein Dutzend zusätzlicher Plätze für Nachrücker zur Verfügung stand. Das EvT musste die neuen Plätze dann im Mai sukzessive den zunächst abgelehnten Kindern dann doch noch anbieten.
Andere Schulen hatten dadurch per Kettenreaktion ebenfalls wieder Plätze frei. Logischerweise hätten diese Schulen diese dann ebenso nach ihren individuellen Auswahlverfahren nachzubesetzen gehabt – ob das in jedem Fall geschehen ist, wissen wir aber nicht.
Grundschulplätze:
Die neue Mangelware
Noch schlimmer als den Abgelehnten an Gymnasien erging es den i-Dötzchen. Viele Grundschulen warteten bis tief in den Mai oder sogar in den Juni hinein mit dem Versand ihrer Zusagen. Hintergrund: Nachdem die Stadt fast einem Drittel der Kinder keinen Platz in der nächstgelegenen Grundschule anbieten konnte, obwohl bei Grundschulplätzen eigentlich das Prinzip „Kurze Beine, kurze Wege“ gilt, brach in der Stadt offenbar das Chaos aus und es stapelten sich die Widersprüche – so dass man entschied, erst mal gar nichts zu entscheiden.
An den Schulen konnten keine Klassenplanungen laufen, Kennenlerntreffen fielen ins Wasser – und die Eltern der rund 10000 neuen Grundschulkinder wurden über Monate hingehalten. Mitte Mai veröffentlichte die Stadt immerhin eine „Zwischenmeldung“. Danach sollten nun an insgesamt elf Schulen Mehrklassen eingerichtet werden, um genügend Plätze zu schaffen. Ursprünglich hatte die Stadt mit nur vier Mehrklassen gerechent. Aber da 590 Kinder die 1. oder 2. Klasse wiederholen würden, sei es nötig, weiter aufzustocken.
Zusätzliche Hiobsbotschaft:
Leider ergeben sich für einige wenige Kinder Schulwege, die länger als 30 Minuten dauern, mehr als zwei Kilometer betragen oder nur mit Umstiegen im Öffentlichen Nahverkehr zu bewältigen sind.
Es kam noch dicker. Mitte Juni waren nach einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers immer noch 300 Kinder unversorgt. Nun hieß es, sogar 640 Erstklässler würden die Klasse wiederholen – und weitere zwölf Grundschulen bekamen zwei Wochen vor den Ferien zusätzlich zu den elf bereits benannten Schulen die Aufforderung, ebenfalls noch jeweils eine weitere Mehrklasse einrichten. Das sei zwar „eine Herausforderung“, aber leider „alternativlos“, schrieb die Stadt den betroffenen Schulen.
Mehrklassen an Grundschulen:
Aus 4 mach 11, mach 23 - oder 15?
Die alternativlose Ansage hatte bloß vier Wochen Bestand. Mitte Juli bekamen nämlich acht der zwölf Schulen erneut Post mit der Anweisung, die Mehrklasse wieder aufzulösen. Man brauche die Plätze nun doch nicht. Die Stadt hatte also zunächst vier Mehrklassen eingeplant, dann zwölf, schließlich 23 – zum ersten Schultag aber gibt es 15. Und trotzdem haben viele sechsjährige Kinder nun lange Anfahrtswege. Viel besser kann man Planungsversagen kaum illustrieren.
Die Mängelliste wächst
Die Liste der Schäden, die all das bei Kindern, Eltern und Stadtgesellschaft anrichtet, wird immer länger. Diese hier ist kein Ranking, sie ist nicht vollständig, aber sie ist erschreckend lang und breit:
- Die Schulwahl der Eltern und Kinder wird immer taktischer, so dass Schulprofile verschwimmen.
- Es gibt in der Stadt inzwischen schwarze Wohnflecken, in denen ein naher Grundschulplatz quasi nicht zu bekommen ist.
- Gymnasien weichen im Rahmen ihrer Möglichkeiten aus und nutzen zum Beispiel Entfernungskriterien für die Platzvergabe, um nicht losen zu müssen. So sind die Chancen der Kinder je nach Wohnort immer ungleicher verteilt.
- Andere Gymnasien schärfen in einer Ausweichbewegung ihre Profile, schrecken so sicherlich manche Kinder ab. Erfolgreiche Profilierung setzt aber echte Wahlmöglichkeiten bei den Kindern voraus, zumal die Schulen ihrerseits die passenden Kinder für ihr 0Profil auswählen dürfen.
- Eine dritte Ausweichbewegung, um übervollen Klassen zu entgehen, ist die Profilierung als Schule des Gemeinsamen Lernens. Doch treffen die Inklusionsangebote nicht auf entsprechende Nachfrage, vergrößert sich das Chaos noch (s.o.).
- Nachbarkommunen, in die Kinder aus Kölner Randlagen bisher ausweichen konnten, machen die Tür zu – wie zuletzt Hürth, wo ab dem kommenden Jahr die Kinderaus der eigenen Kommune Vorrang haben werden.
- Weil die Stadt immer mehr Kinder de facto dem maroden Gymnasium Kreuzgasse zuweist, die dort gar nicht hinwollen, droht dort noch mehr Verwahrlosung, wenn die Bindung an die Schule fehlt.
- Es gibt mehr Verkehr und mehr Elterntaxis.
- Eltern ziehen aus Köln weg – und hinterlassen auch Lücken auf dem Arbeitsmarkt.
- Marode Turnhallen bedrohen das Vereinsleben. Müssen sie saniert oder neugebaut werden, fehlen – oft über Jahre hinweg – Alternativen. Dass immer weniger Schulkinder schwimmen lernen, ist auch eine Folge der vielfach überlasteten Sportanlagen in der Stadt.
- Ohnehin schon überlastete Sekretariate haben immer mehr Arbeit auf dem Tisch.
- Insbesondere Grundschulen haben zunehmend Probleme, Leitungen zu finden, die bereit sind, den Job zu machen.
- Ideologische Debatten um das dreigliedrige Schulsystem und die Gesamtschulen flammen wieder auf.
- Neu eröffnete Schulen starten allesamt in Containern und somit an perspektivlosen Standorten. Schulen ohne Schulgebäude werden zur neuen traurigen Normalität, zumal nicht mal in allen Fällen klar ist, wo und wann die Provisorien enden werden.
- Die Verwaltung leistet sich Jahr für Jahr ein neues kommunikatives Desaster – und startet immer wieder dieselben dysfunktionalen Vergabeprozesse.
- Die Politik will lindern, macht sich aber etwas vor, solange die Nachfrage nach Schulplätzen schneller steigt als das Angebot. Dabei liegen alle Daten dafür seit Jahren auf dem Tisch.
- Ach so: Die dringend nötige Sanierung des Gymnasiums Kreuzgasse verzögert sich immer weiter. Erst im Sommer 2026 wird man nun wohl in ein Interim ziehen, der Neubau wird frühestens im Jahr 2029 fertig sein. Und die Heliosschule kann ihren Bau nun auch frühestens 2025 beziehen – gebaut wird in Ehrenfeld schon seit 2019. Hier werden einmal drei Schulen zusammenziehen, die jetzt ihrerseits noch länger Interimsbauten belegen, die andere Schulen dringend benötigen. Die erste Oberstufe der Schule wird das Gebäude kaum mehr erleben. Den Kindern, die im kommenden Jahr an einem der neuen städtischen Gymnasien oder einer der Gesamtschulen starten, die 2024 eröffnen sollen, könnte es ähnlich ergehen.
Sieht alles nicht so richtig rosig aus.
Höchste Zeit für die #Bildungswende.
Wir sehen und zum Protest am 23.9. ab 13 Uhr auf dem Heumarkt.
Und danke für Eure Spende!
Euer Olaf