Die Abgelehnten (#2) - Warum in diesem Herbst (doch nicht) alles anders wird

Hallo zusammen,

es ist nun gut einen Monat her, seit hier zum ersten Mal von den eklatanten Versäumnissen, dem politischen Versagen und den vielen groben handwerklichen Fehlern bei der diesjährigen Schulplatzvergabe in Köln der Rede war. Seitdem hat sich ein bisschen was getan, so dass es Zeit wird für ein Update. Und für eine Prognose. Sie lautet: Es wird sicherlich nicht alles anders werden bei der Platzvergabe im kommenden Schuljahr. Aber es wird auch keinesfalls noch einmal das passieren, was so vielen Eltern und SuS in diesem Jahr widerfahren ist. Dafür werden wir uns gemeinsam einsetzen.

Am Freitag habe ich ein langes Gespräch mit dem Kölner Schuldezernenten Robert Voigtsberger führen können, als Vertreter unserer Initiative. Wir haben uns Vertraulichkeit zugesichert, daher gibt es hier heute auch keine Details dazu. So viel kann ich aber sagen: Es war ein gutes, selbstkritisches und vor allem nach vorn gerichtetes Gespräch - und ich denke, wir waren uns einig dahin, dass sich der Schulbewerbungsprozess im kommenden Jahr ändern sollte.  Voigtsberger will im Herbst dazu eine Konferenz veranstalten, mit Vertreter:innen der Bezirksregierung, Schulleitungen, Eltern und SuS. Er hat auch mich als Vertreter unserer Initiative dazu eingeladen. Ich denke, es wäre gut, im Vorfeld möglichst konkrete Ideen und Forderungen zu entwickeln. Das wir die Arbeit der kommenden Wochen sein.

Wenn Ihr mithelfen wollt, meldet Euch, gebt unsere Webadresse (https://die-abgelehnten.de) weiter, verteilt diesen Newsletter - und sorgt mit uns gemeinsam dafür, dass Eltern in diesem Herbst bestens vorbereitet und aufgeklärt in die Schulplatzvergabe gehen. Wir können zwar keine Schulplätze herbeischaffen. Aber Stadtverwaltung, Rat und Bezirksregierung sollen wissen, dass sie gemeinsam mehr Verantwortung für die Kinder übernehmen müssen, statt sich, wie in diesem Jahr so oft passiert, bloß gegenseitig ihr Versagen vorzuwerfen. Schließlich haben sie gemeinsam den Mangel geschaffen, den wir jetzt alle miteinander beklagen.

Wenn Ihr Fragen habt, Anregungen oder Interesse an der Mitarbeit an unserem Projekt, meldet Euch gern bei mitmachen@die-abgelehnten.de. Nach den Sommerferien sind #dieabgelehnten dann noch stärker - und weiter aktiv.

Macht Euch einen schönen Sommer,

Olaf Wittrock für #dieabgelehnten

Briefwechsel, Mehrfachanmeldungen, Schulbauten

"Daher haben wir uns viele Gedanken gemacht..."

1 Eine neue Brieffreundschaft? Frau Reker antwortet - Eltern auch

Anfang Mai hatten viele Schülerinnen und Schüler, die selbst noch keinen Schulplatz hatten oder deren Freunde zu den Abgelehnten zählten, Briefe an Oberbürgermeisterin Henriette Reker geschrieben. Teils besorgt, teils frustriert, teils wütend, teils traurig (auch der Kölner Stadt-Anzeiger berichtete). Ende Mai bekamen viele Kinder dann ausführlich Antwort, teils sogar ergänzt um handschriftliche, persönliche Zeilen. Sie sei selbst "damit unzufrieden", schreibt Reker, doch es werde "nicht möglich sein, noch in diesem Sommer eine Lösung für alle Schüler*innen zu finden". Bauvorhaben, um den Schulplatzmangel zu beheben, benötigten leider "immer viel Zeit". Sie wolle sich mit Nachdruck dafür einsetzen, beim Thema Schulbau so schnell wie möglich aufzuholen, damit es solche Schwierigkeiten wie zuletzt in Zukunft nicht mehr gebe.

So bemüht sie in der Form gewesen sein mochten: Inhaltlich ließen die Antworten doch einiges zu Wünschen übrig. Und so antwortete eine Mutter im Interesse ihres Kindes und sicherlich stellvertretend für viele der Abgelehnten:

Liebe Frau Reker, Köln, 06.06.2021
gern möchten wir Ihnen auf Ihren Brief antworten. Folgendes möchten wir dazu anmerken:
Appell an Ihre Verantwortung als Bürgermeisterin
unangebracht 9-jährige Kinder allein auf teilweise mehr als einstündige Wege durch eine Millionenstadt zur Schule fahren zu lassen
Das hat nichts mit „Beliebtheit“ zu tun, sondern mit Mangel.
4. Es ist sehr schön, dass Sie sich „Gedanken gemacht“ und „mit den Schulleitungen gesprochen“ haben. Das haben die Eltern all der abgelehnten Kinder schon Wochen vor Ihnen getan, so dass Sie – nach der massiven medialen Resonanz – nun doch etwas verspätet damit begonnen zu haben scheinen.
Das Losverfahren an den Schulen ist keineswegs fair
stimmt nicht
das strukturelle Versagen einer Stadt
Mit freundlichen Grüßen
Familie K.
P.S.: Den Schulplatz für unseren Sohn haben wir letztendlich bekommen, indem wir sämtliche einigermaßen erreichbare Gymnasien und Gesamtschulen recherchiert und abtelefoniert haben, um uns auf Wartelisten setzen zu lassen. Vielleicht können Sie sich den Aufwand für all die Eltern, die es ebenso gemacht haben, sowie für die Schulen vorstellen.

Ob sich hier noch ein intensiver Briefwechsel anbahnt?

Wir lassen es Euch wissen.

2 Es bleibt widersprüchlich - (Wenig) Neues vom der juristischen Front

"Im Schulgesetz nicht aufgenommen."

Für Schulleiter:innen und die Bezirksregierung ist es ein Déjà vu: Wie in jedem Jahr sind auch diesmal viele Dutzend Widersprüche gegen Ablehnungsbescheide eingegangen. Das ist nicht nur das gute Recht eines Jeden, der einen Verwaltungsakt nicht einfach akzeptieren mag.

Die Sache läuft, ob mit ohne ohne anwaltliche Unterstützung, so ab: Zunächst prüft die Schule, ob sie einen Grund sieht, die Entscheidung zum Nicht-Aufnahme zu revidieren. Das ist in der Regel nicht der Fall - auch wenn sich durch Akteneinsicht in die Entscheidungsfindung bei der Platz-Verlosung immer mal wieder Ungereimtheiten entdecken lassen. Nun geht der Widerspruch weiter an die Bezirksregierung, die als Schulaufsichtsbehörde ihrerseits ebenfalls zu prüfen hat, ob sie einen Verfahrensfehler (an)erkennt. Ein abgelehnter Widerspruch bildet dann die notwendige Voraussetzung für eine anschließende Schulplatzklage. Diese wiederum läuft über das Verwaltungsgericht, und zwar regelmäßig im Eilverfahren. Schließlich ist es ja nicht mehr lange hin zum Start des nächsten Schuljahrs.

Die Bezirksregierung hat inzwischen mehrere Widersprüche erwidert und abgewiesen. Interessant ist dabei unter anderem eine Passage, die sich dem Thema Mehrfachanmeldungen widmet. Dahinter verbirgt sich eine Eigenart im Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen, die unter Eltern in Köln seit einigen Jahren für besonders große Empörung sorgt - zu der sich die  Stadt und die Bezirksregierung aber bisher erst selten so klar und eindeutig geäußert haben wie in diesem Jahr.

Zum Hintergrund: Um ein Kind bei einer weiterführenden Schule anzumelden, verteilen die Grundschulen mit dem Halbjahreszeugnis der vierten Klasse rechtzeitig im Herbst einen Anmeldeschein auf einem Durchschlagspapier. Geregelt ist dieses Vorgehen NRW-weit in der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I, kurz APO-S I, nebst dazugehöriger Verwaltungsvorschrift. Dort heißt es:

1.1.4 Die Anmeldung an einer Schule der gewünschten Schulform setzt die Vorlage des Halbjahreszeugnisses der Klasse 4 voraus. Der Schulträger sorgt dafür, dass jedes Kind nicht gleichzeitig an mehr als einer Schule angemeldet werden kann. Hierzu wird den Eltern jedes Kindes ein Anmeldeschein (Anlage 10) durch die Grundschule ausgehändigt, der bei der Anmeldung abzugeben ist.

Wer nun allerdings denkt, er müsse sein Kind mit dem Originalanmeldeschein an genau einer Schule anmelden, der irrt. Denn die Vorschrift ist offenbar nicht mehr als ein unverbindlicher Vorschlag des Landes, um Chaos zu verhindern. Der Schulträger, also die Stadt Köln, hat lediglich dafür zu sorgen, dass es im Ergebnis nicht zu (erfolgreichen) Mehrfachanmeldungen kommt, dass also schließlich jedes Kind genau einen Schulplatz erhält.

In der Praxis bedeutet das: Eltern können nach aktueller Lage ihre Kinder jederzeit - etwa mit Kopien des Anmeldescheins - an so vielen Schulen anmelden wie sie wollen. Erst wenn sie dann bei der Schulplatzvergabe mehrfach erfolgreich sind, müssen sie sich für einen der Plätze entscheiden. Erst in diesem Moment wird die Stadt tätig und ruft beispielsweise die Eltern an mit der Aufforderung, einen der Plätze auszusuchen und die übrigen freizugeben.

Es ist daher unter den gegebenen Bedingungen nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll, sich an ALLEN Schulen zu bewerben, die in der näheren Auswahl sind. Denn das erhöht die Chancen, im Verfahren einen bevorzugten Platz zu bekommen.

Weil dies alles bislang im Vorfeld nur wenigen Eltern bewusst war (und weil die offiziell daherkommenden Formulare und auch die Verfahrenserklärungen an den Schulen oft suggerieren, Anmeldungen seien nur mit Originalbogen gültig), haben mehrere Eltern im Widerspruchsverfahren diese wahrgenommene Ungerechtigkeit thematisiert. Dabei bestätigte die Bezirksregierung in einer Widerspruchs-Ablehnung, die den Abgelehnten vorliegt, dass die Schulen beim Auswahlverfahren auch Anmeldungen akzeptieren müssen, die nicht mit dem offiziellen Formular eingehen:

Die Ausgabe von Anmeldescheinen - vor allem in Großstädten - dient der Koordination der Anmeldungen, ist jedoch im Schulgesetz oder der Ausbildungs- und Prüfungsordnung Sekundarstufe I nicht als Grundlage für eine Anmeldung aufgenommen worden.

Anders gesagt: Sollte die Stadt dieses Verfahren nicht verändern, dann ist es für das kommende Jahr allen Eltern zu empfehlen, die Anmeldebögen als das anzusehen was sie sind: eine unverbindliche Koordinierungshilfe für die Stadt. Wer mehrere Schulen in Betracht zieht, sollte sein Kind an all diesen Schulen anmelden.

Seit Mai sind beim Kölner Verwaltungsgericht übrigens Schulplatzklagen im Eilverfahren anhängig; auch dieser Punkt steht dabei in Rede. Stand heute: Spätestens Ende Juni soll eine Entscheidung stehen.

Warten wir es ab.

3 Die Stadt schafft neue Schulplätze - aber wie viele eigentlich?

Wir hatten uns ehrlich gesagt auch schon gewundert, als die Stadt Köln am 5. Mai per Pressemitteilung verkündete:

Zum Schuljahr 2022/2023 sollen aus diesem GU/TU-Paket 2.454 neue Schulplätze geschaffen und 5.496 Schulplätze erhalten und saniert werden.

Denn 2.454 Schulplätze - das entspräche nicht weniger als 20 komplett neuen vierzügigen Schulen. Und die wird es schlicht nicht geben. Inzwischen ist der Kölner Stadt-Anzeiger der Sache auf den Grund gegangen und hat nachgerechnet. Ergebnis: Es gibt im kommenden Schuljahr nach aktuellen Plänen stadtweit bloß 333 zusätzliche Plätze, verteilt auf Grundschulen, Gesamtschulen, Gymnasien und ausgebaute Oberstufen.

Die deutlich höhere Zahl stammt aus dem sogenannten "GU/TU-Paket", das Zielvereinbarungen mit General- und Totalunternehmern enthält, die für die Stadt schnell neue Schulen bauen sollen - und es berechnet sämtliche Schulplätze mit ein, die an neu gebauten Schulen einmal verfügbar sein werden, wenn diese im Normalbetrieb sind. Das wird aber erst in fast zehn Jahren so weit sein. Und dann sich auch noch großzügig solche Schulplätze mit eingerechnet, die es längst gibt (etwa an den unlängst aufgestockten Gymnasien in Widdersdorf und Bilderstöckchen) - und für die sich die Stadt mit der großen Zahl gleich auch noch einmal feiern lässt.

Stadt Köln weckt mit eigenwilliger Schulplatz-Rechnung falsche Hoffnungen | Kölner Stadt-Anzeiger

Stadt Köln weckt mit eigenwilliger Schulplatz-Rechnung falsche Hoffnungen | Kölner Stadt-Anzeiger

Statt der angekündigten 2454 neuen Plätze werden es tatsächlich nur 333 sein.

Allerdings ist immerhin ein bisschen Bewegung in die Sache gekommen, wie ein (unvollständiger) Überblick über aktuelle Vorhaben zeigt:

  • Anfang 2022 soll das Gymnasium Zusestraße in Lövenich fertiggestellt sein: Es wird eine dreizügige Schule mit 5-zügiger Oberstufe werden.
  • Der Erweiterungsbau der Königin-Luise-Schule in der Innenstadt schafft eine zusätzliche Klasse dort.
  • Eine wirklich substanzielle Verbesserung der Lage gelang der Stadt Anfang Juni mit dem Abschluss eines 30-Jahres-Mietvertrags für das ehemalige Vodafone-Gebäude an der Aachener Straße in Müngersdorf. Dort soll bereits im kommenden Jahr ein neues dreizügiges Gymnasium starten. Es ist das erste Mal überhaupt, dass die Stadt einen Bürokomplex zur Schule umbaut. Ein Problem gibt es da allerdings noch: Es fehlt eine Sporthalle, und auf dem Grundstück ist dafür auch kein Platz. Die Stadt sucht inzwischen nach einem Standort in der Nähe, maximal zwei Kilometer Luftlinie vom neuen Schulstandort Aachener Straße entfernt.
  • Der geplante Neubau des Hölderlin-Gymnasium in Mülheim sorgt derweil für politischen Streit. Die Stadtverwaltung informierte im Schulausschuss am 5.6. den Rat darüber, dass sie einen Neubau an einem zentralen Standort ablehnt - und die Schule auf zwei Standorte verteilen will. Das Regierungsbündnis aus Grünen, CDU und VOLT ist dagegen, die Schule auf zwei Standorte zu verteilen.
  • Zudem rüstet die Stadt mehrere Grundschulen mit Fertigbauten für den steigenden Bedarf aus. Eine neue "Rahmenvereinbarung Modulbau" verschafft der GGS Annastraße in Raderberg und der Franziskus-Schule/ Cäsarstraße in Bayenthal ab dem kommenden Jahr je vier neue Klassenräume. In Junkersdorf (Statthalterhofallee), Kalk (Thessaloniki-Allee) und Marienburg (Gaedestraße) sollen dank Schnellbauweise bis Ende 2022 neue dreizügige Grundschulen entstehen. In Ehrenfeld sucht die Stadt nach einem Grundstück für eine neue fünfzügige Grundschule mit Zweifachsporthalle.

Übrigens: Im kommenden Schuljahr werden nach Schätzungen noch mal 100 Gymnasialplätze mehr vonnöten sein als in diesem. Die neu geschaffenen Plätze sind also letztlich bloß ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Stadt wird nicht darum herumkommen, auch im nächsten Schuljahr wieder sogenannte Mehrklassen einzurichten, die Schulen seit vielen Jahren über die eigentliche Zügigkeit hinaus anbieten.

Das Thema Mehrklassen werden wir in den kommenden Ausgaben noch mal intensiver beleuchten.

Für heute war es das erstmal. Wir lesen uns wieder!

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Jamie Larson
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