Die Abgelehnten (#7): Dilettantismus à la Cologne
Hallo zusammen,
viele Eltern erleben gerade den perfekten Sturm: Sie haben ihre Kinder an drei, vier oder sechs Gymnasien angemeldet, nur Absagen erhalten und womöglich auch keine Nachrückplätze in erreichbarer Nähe erwischt. Diese Familien stehen seit Tagen unter Dauerstress. Die Kinder treffen ihre Freundinnen und Freunde, die bereits einen Platz ergattert haben; manche haben auch zwei oder drei Zusagen – sie würden diese gern mit Schulkameraden teilen, aber das funktioniert nicht. Die Eltern verfolgen derweil im Whatsapp-Ticker, bei welchen Nachrückplatz gerade noch „was geht“.
Die, die schon angerufen oder angemailt wurden, weil doch ein Nachrückplatz frei geworden ist, sollen diesen bitte innerhalb von 24 Stunden annehmen. Danach verfällt er. Oder doch nicht? Manche Schulen machen auch gar nicht erst mit bei dieser Zwischenverlosung. Keine Zeit, keine Kapazität, Besseres zu tun. Da heißt es dann Warten bis Morgen, also bis zum 23.3., wenn die Eltern die Plätze zusagen müssen, die sie nicht erst im Nachrückverfahren, sondern schon zuvor angeboten bekommen hatten.
Ab Morgen müssen dann die Listen aufgeräumt werden: Freigewordene Plätze durch Mehrfachzusagen herausfiltern. Eltern auf dem nächsten Nachrückplatz den freigewordenen Platz anbieten. Wieder warten, ob Zu- oder Absage folgt. Wieder bereinigen. Wieder bei Eltern melden. Wieder bereinigen… Dafür hat die Stadt genau EINE WOCHE Zeit eingeplant.
Währenddessen feilschen im Hintergrund Stadt, Schulverwaltung, Bezirksregierung und SchulleiterInnen um dringend benötigte Mehrklassen. Bis zu 450 Plätze sollen im System noch fehlen, berichtete der Kölner Stadt-Anzeiger mehrfach unwidersprochen. Wann und wohin diese kommen sollen? Offen. Ob sie noch mit ins aktuelle System eingespeist werden, oder ob Anfang April eine neue Losrunde damit startet? Weiß keiner so recht. Was mit den Kindern passiert, die auch danach immer noch unversorgt sind? Unsicher.
Wenn Sie jetzt ausgestiegen sind, haben Sie vermutlich bereits einen Platz – also Glück gehabt. Andernfalls bestimmt all das, was ich da geschildert habe, gerade Ihren Alltag.
Das Verfahren ist am Ende. Es war schon im Vornherein zum Scheitern verurteilt. Darüber haben wir hier ausführlich berichtet. Nun aber zeigt sich, dass es auch noch handwerklich derart miserabel umgesetzt wurde, dass man sich in Grund und Boden schämt, wie man hier mit den Bildungsbiografien von Kindern umgeht. Dies alles einzugestehen und einen Ausweg zu finden, das wäre jetzt die gemeinsame Aufgabe aller Beteiligten.
Es geht dabei nur vordergründig um den Abbruch eines dilettantischen Verfahrens. Es braucht viel mehr: Nämlich einen echten Krisengipfel aller Verantwortlichen, um weiteren Schaden abzuwenden von dieser Stadt, von ihren Eltern und – noch wichtiger – von all den abgelehnten Kindern.
DEMO
Dafür werden wir am 28.3.2022 von 14 bis 16 Uhr auf dem Alter Markt demonstrieren. Wir bitten herzlich um breite Teilnahme und um die Verbreitung unseres Aufrufs.
Noch mehr hoffen wir, dass es gelingt, allen Kindern dieser Stadt einen Platz an einer weiterführenden Schule anzubieten. Und zwar in einem Prozess, den die Verantwortlichen angesichts des eklatanten Schulplatzmangels endlich mit Vernunft, Augenmaß und Sorgfalt koordinieren, statt die Kinder und Eltern einfach ihrem Los zu überlassen.
Derweil befasst sich diese Newsletter-Ausgabe noch mit einigen FAQs aus den vergangenen Tagen. Wie hoffen, die Lektüre erhellt und hilft weiter.
Verfahren 2022: Die FAQs, Teil I
Wie viele Gymnasialplätze gibt es eigentlich?
Das war schon im Newslettern #5 und #6 Thema – und die Antwort lautet: Das weiß niemand aktuell niemand. Zur Einordung noch mal die bekannten Daten: Es gibt in Köln dieses Jahr 33 städtische Gymnasien mit insgesamt 125 Klassen. Die Stadt packt in diese 125 Klassen in der Regel nicht 27 (die eigentliche Regelgröße), sondern die gesetzlich maximal möglichen 30 oder 31 Kinder. So kommen rund 3750 städtische Plätze zusammen. Dazu kommen noch etwa 400 Plätze an nicht-städtischen Gymnasien, vor allem konfessionellen und privaten Schulen – diese sind nicht Teil des aktuellen Verfahrens, bilden aber aus Elternsicht natürlich ein zusätzliches Platz-Reservoir.
Klar ist: 3750 Plätze reichen auf keinen Fall aus, um den Bedarf zu decken. Zugleich hat die Stadt versprochen, jedem Kind einen Gymnasialplatz anzubieten, das sich um einen solchen Platz bewirbt. Die Stadt muss deshalb wie schon in den Vorjahren sogenannte Mehrklassen an Schulen eröffnen. Der Kölner Stadt-Anzeiger schrieb mehrfach von 450 fehlenden Schulplätzen in Köln – das entspräche einem Bedarf von 15 Mehrklassen. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren neun Mehrklassen nötig. Auf welcher Grundlage oder Quelle die Angabe mit den 450 Kindern in diesem Jahr fußt, wissen wir nicht. Die Stadt hat die Zahl aber bisher nicht dementiert. Da im vorgezogenen Verfahren um Gesamtschulplätze 980 Kinder leer ausgingen, dürfte der Überhang an den Gymnasien aber immens sein.
Wie viele Mehrklassen gibt es denn nun?
Das ist aktuell unklar. Es gibt einige Gerüchte, aber keine festen Zusagen. Dabei hatte die Stadt eigentlich erklärt:
Die Schulen berücksichtigen die Mehrklassen bereits bei der Aufnahmeentscheidung.
EDIT:
Am 22.3.2022 hat die Stadt die Fragenliste auf der Website überarbeitet. Nun heißt es hier neu:
Einige Schulen haben bereits die Bildung einer Mehrklasse bei der Aufnahmeentscheidung berücksichtigt. Da der tatsächliche Bedarf erst nach dem 23. März festgestellt werden kann, wird erst danach bekannt gegeben, wie viele und an welchen Schulen Mehrklassen gebildet werden.
Und zwischenzeitlich hatte die Stadt auf Nachfrage schriftlich mitgeteilt:
Die erwarteten Mehrklassen standen bereits zum Anmeldezeitraum fest und die höheren Kapazitäten wurden von den Schulen bei ihrer Auswahl berücksichtigt. Möglicherweise werden noch weitere Mehrklassen benötigt, das steht aber noch nicht fest. Durch die Möglichkeit der Mehrfachanmeldungen, die Erziehungsberechtigte teilweise auch schulformübergreifend genutzt haben, lässt sich der tatsächliche Bedarf erst nach dem 23.03.2022 feststellen, wenn die Rückmeldungen der Erziehungsberechtigten an die Schulen erfolgt sind.
Von welchen „erwarteten Mehrklassen“ die Stadt vor Beginn des Verfahrens genau ausgegangen ist, hat sie bisher nicht konkret gesagt. Und warum man den Hinweis auf der Website wohl einfach so geändert hat…?
Unsere Recherchen zeigen: Das Gymnasium Rodenkirchen, das Stadtgymnasium Porz und das Leonardo-da-Vinci-Gymnasium in Nippes sind tatsächlich mit je einer zusätzlichen Klasse in das Verfahren gestartet. Womöglich gilt die auch noch für einzelne andere Gymnasien, denn uns fehlen derzeit die entsprechenden Daten zu den Schulen in den rechtsrheinischen Stadtteilen Mülheim, Kalk, Buchheim, Wahn und Pesch – sowie aus Chorweiler (H.-Mann). Wer hier ergänzen kann, kann uns gerne mailen.
Klar ist aber schon mal: Die Schulen im Bezirk Innenstadt – namentlich KLS, KAS, Hansagymnasium, Humboldt-Gymnasium, Deutzer Gymnasium (Schaurtestraße), FWG, Thusnelda, Kreuzgasse – haben bisher allesamt noch keine Mehrklasse eingeplant. Und auch alle Schulen in Lindenthal und Ehrenfeld, wo im vergangenen Jahr besonders viele Plätze fehlten, sind ohne Mehrklassen in die Vergabe gestartet.
Wann und wie werden die Mehrklassenplätze verteilt?
Man ahnt es schon: Auch das ist nicht so richtig klar. Zum Zuteilungsverfahren hat die Stadt geschrieben:
Sofern eine neue zusätzliche Mehrklasse in einer Schule eingerichtet wird, erfolgt die Besetzung anhand der Warteliste. Es findet also keine neue Auswahl statt.
Zugleich heißt es auf der Website zum Verfahren:
Wenn Ihr Kind nach der ersten Anmelderunde keinen Schulplatz hat, können Sie es in der zweiten Runde vom 31. März bis 4. April 2022 an einer Schule mit freien Kapazitäten anmelden.
Die Bezirksregierung wiederum teilte am vergangenen Mittwoch mit:
In den nächsten Tagen entscheidet der Schulträger über die Einrichtung von Mehrklassen. Leider kann ich Ihnen noch kein genaues Datum nennen.
Nach unseren Informationen ist die dazu nötige Abstimmung zwischen der Stadtverwaltung (Schulträger), der Bezirksregierung (Schulaufsichtsbehörde, die prüft, ob ausreichende Fachraum-Kapazitäten für Mehrklassen vorhanden sind) und SchulleiterInnen (die mit Einrichtung einer Mehrklasse an ihrer Schule einverstanden sein müssen) aber erst am 30.3. abgeschlossen, nachdem bei den bisherigen Versuchen, in diesem Dreieck eine Lösung zu finden, noch nicht genug Zusagen für Mehrklassen zustande gekommen sind.
Kurzum: Hier passt vieles nicht zusammen: Entweder, es gibt doch schneller Informationen über die Mehrklassen. Oder das zweite Anmeldeverfahren verzögert sich.
Stichwort Platzverteilung: Wie läuft die genau ab?
Die Idee der Stadt war offenbar, dass Eltern, denen man eigentlich Zeit bis zum 23.3. einräumte, um sich für oder gegen einen angebotenen Schulplatz zu entscheiden, früher Plätze annehmen und zurückgeben, so dass Schritt für Schritt immer wieder neue Plätze für Nachrücker frei werden. Auf der offiziellen Website heißt es dazu:
Wie werden die Wartelisten in den Schulen erstellt?
Die Schulen erstellen die Wartelisten bereits komplett im Auswahlverfahren nach der ersten Anmelderunde und können daher sofort die Erziehungsberechtigten des nächsten Kindes auf der Warteliste über einen frei gewordenen Platz informieren. Die Eltern erhalten eine Rückmeldefrist bis 23. März 2022.
EDIT:
Am 22.3.2022 hat die Stadt die Fragenliste auf der Website überarbeitet. Der zitierte Passus ist noch da. Weiter unten steht aber das Gegenteil:
Gilt für Familien bei einer Platzzuteilung über einen Nachrück- oder Wartelistenplatz ebenfalls der 23. März als Stichtag für eine Zusage dieses Platzes?
Nein, diese Frist gilt nur für die Erziehungsberechtigten, die ab dem 14. März eine Zusage erhalten haben.
Tatsächlich sind die Schulen in den vergangenen Tagen auch anders vorgegangen als bis zum 22.3. auf der Website erklärt. Sie haben Nachrück-Plätze tatsächlich regelmäßig mit Annahmefristen von 24 Stunden versehen, die Eltern also zu sehr schnellen Entscheidungen gedrängt. Das haben wir schriftlich – versehen mit dem an dieser Stelle durchaus irritierenden Hinweis einer Schulleitung:
„Mit dieser Rückmeldefirst halten wir uns an die Vorgabe der Bezirksregierung Köln.“
Warum die Bezirksregierung andere Fristen nennt als die Stadt, wissen wir nicht. Wir wissen nur: Es handelt sich dabei offensichtlich um eine durchaus substanzielle Verfahrensänderung mitten im laufenden Prozess. Denn es gab in den vergangenen Tagen nun zwei Qualitäten von Zusagen: Jene aus dem direkten Tombola-Erfolg, die als Verfallsdatum den 23.3. haben - und solche aus Nachrücker-Rängen mit einem 24h-Verfallsdatum. Zum 30.3. kommen dann wohl noch mal neue Plätze ins System, aus Mehrklassenbildungen, die dann separat verteilt werden sollen. Sie stehen also nicht mehr allen Kindern zur Verfügung. Daraus entsteht dann noch eine dritte Platzklasse an Klassen-Plätzen.
Und bis zu welchem Listenplatz habe ich nun eine Chance?
Auch das ist eine schwierige Frage. Erneut ein paar Fakten zur Einordnung: An den Schulen in der Innenstadt und im Westen Kölns stehen oft rund vier Mal so viele Kinder auf den Listen wie Plätze verfügbar sind – jedenfalls, wenn man die Zahlen um die Geschwisterkinder bereinigt, die an den Schulen regelmäßig bevorzugt aufgenommen werden und daher nicht in die Verlosung mussten. Auf dieser Grundlage nehmen wir nun einmal an, dass die Eltern ihre Kinder im Schnitt an vier Schulen angemeldet haben. Dann besteht bei jeder einzelnen Anmeldung eine 25%-Chance auf eine Zusage. Bei vier Anmeldungen haben nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit und Kombinatorik:
- 32% keinen Platz
- 42% einen Platz
- 21 % zwei Plätze
- 5% drei oder vier (0,4%) Plätze
Hat eine vierzügige Schule auf diesem Weg 80 Nicht-Geschwister-Zusagen verteilt, dann finden sich darunter nach diesen Annahmen im Schnitt:
- 49 Einzelzusagen
- 25 Doppelzusagen
- 1 Drei- oder Vierfachzusage
Soweit die Theorie: In der Praxis der vergangenen Tage zeigte sich nun, dass in der Tat in vielen Fällen Nachrück-Plätze von 20 oder 30 recht oft zum Zuge kommen könnten. Beim Gymnasium Kreuzgasse telefonierte man heute sogar schon mit Rang 81. Nicht vergessen darf man dabei zweierlei: Erstens sind manche Nachrücker womöglich inzwischen anderswo versorgt. Zweitens ist es recht wahrscheinlich, dass es unter den Bewerbungen viele wiederkehrende Kombinationen gibt – etwa das typische Sülzer Gymnasialcluster Schiller, EVT und HVB, womöglich kombiniert mit einer Bewerbung an der Kreuzgasse. Offenbar gehörte die Kreuzgasse dann bei diesen Kinder nicht immer zur ersten Wahl. In anderen Schulen tut sich bisher weniger.
Inzwischen existiert online eine Liste, in die viele Eltern der Abgelehnten Indizien dafür sammeln, wo der Nachrück-Prozess in den Schulen gerade steht. Alle, die mitmachen, helfen, die Datenlage beim Nachrück-O-Meter zu verbessern.
In der nächsten Ausgabe dieses Newsletters machen wir weiter mit neuen FAQs. Wir versuchen einen juristischen Blick auf die Lage. Wir fragen uns, ob der Datenabgleich eigentlich funktioniert und wieso Eltern Briefe mit anderen Namen bekommen und E-Mails verloren gehen. Und wir klären, wie andere dieses Desaster bewerten.
Wer Fragen hat, Mailt am besten an mitmachen@die-abgelehnten.de
Ansonsten gilt wie immer #SharingIsCaring.